Notiz_15
Ich sitze im weißen Raum auf den Boden, die Arme ausgestreckt,
meine Zehen berührend.
Ich träume von einem enormen Raum
aus weißen Vorhängen. Dort treffe ich auf dich. Du sitzt auf dem Boden vor mir
im Schneidersitz, deine Augen sind geschlossen und der Raum dehnt sich aus, bis
in der Ferne die Berge zu sehen sind.
Und
dann?
Dann wache ich auf.
Vera sitzt auf dem Boden vor mir im Schneidersitz.
Weißt
du, ich habe gestern Stunden gebraucht, um einzuschlafen. Ich habe nach einer
Unterhaltungsform gesucht, die dem Bild dieses weißen Raums entspricht. Ich
habe gesucht und gesucht, ich konnte nichts finden, also habe ich
weitergesucht, bis ich eingeschlafen bin.
Vera steht auf. Sie bewegt langsam ihren Arm nach vorne, ihren
Fuß nach hinten, sie dreht sich, ihr Rücken zeichnet einen schwebenden Bogen in
der Luft, sie lässt den Kopf fallen, ihre schmutzigblonde Haare verdecken ihr
Gesicht, ihr Nacken dehnt sich zur Seite, stützt den Kopf und hebt ihn langsam,
ihr Gesicht ist nach oben gewandt, die Augen sind geschlossen hinter dem Netz
aus Haarsträhnen, ein schlagartiges Zucken, die Arme flitzen hoch, die Hände
greifen sanft die Luft, ein Fuß mühelos auf dem Boden, der andere hinter ihrem
Oberschenkel versteckt, ihre Haare sind weiße Vorhänge vor ihren Augen, die
geschlossen bleiben während der Raum sich ausdehnt, bis in der Ferne die Berge
zu sehen sind. Vera bleibt in dieser plastischen Stellung für einen leisen
Atemzug, dann tanzt sie weiter. Ich sehe die Linien ihrer Bewegungen auf dem
weißen Hintergrund erscheinen wie auf einem Blatt Papier, die starken Pfeilen
der plötzlichen Hebungen sowie die kaum sichtbaren Kreise der Finger. Ich
erkenne in ihrem Tanz Glass Eyes von Radiohead.
Der weiße Raum ist das Nichts, was
die Bedeutung der Bewegung hervorhebt. Ich kann den Realismus der Dinge nicht
mehr leiden, weil die konkreten Gegenstände jede Regung des Körpers im
Vergleich stellen und damit an Kausalitäten und Interpretationen anketten. Ich
will das Nichts als Hintergrund, damit der Vordergrund nicht relativiert wird.
Jetzt
komm tanzen.
Vera klopft mit ihren nackten Füßen auf dem Boden, mit jedem
Schlag eine winzige Sprengung von gewaltiger Kraft hebt sie hoch, sie scheint
den Boden gar nicht mehr zu berühren, als würde die von ihr aufgewirbelte Luft
selbst sie halten ein bis zwei Zentimeter konstant über dem Boden. Ich stehe
auf.