- SZ - Zum Geburtstag

 


Der Tag verbracht
Als wäre es Sonntag
Und es war Sonntag tatsächlich -
Dass ich zur Frage - wie alt -
Anders antworten soll kann muss
Ist mir erst nach zwei Tagen aufgefallen -
Und wie ich dies schreibe sind es schon drei Tage
Und ich könnte so weiter machen
Bis die Zahl Platz macht einer anderen
Und ich selbst Platz mache einer anderen
Person oder Zahl
In einer Choreographie der Einfallslosigkeit
Ohne Musik -                                                                                          Musik: Interpol - NYC
Ich bin geboren im hässlichsten Monat -                                      Musik: Tom Waits - November
Aber das hat nichts zu bedeuten
Und nicht darüber will ich schreiben.
Mich beschäftigt meine Stimme zurzeit
Als würde ich wieder einen Stimmbruch erleiden
Aber da ich meistens schweige weiß ich nicht
Ob sie sich ändert oder gleich bleibt und
Wenn sie sich ändert
Wie sie klingt.
Konkreter frage ich mich
Ob es möglich ist, die Wahrheit zu sagen
Umgeben von Lügen
Wie Esterházy sich das fragte
Nach vierzig Jahren einer SOFTDIKTATUR                                         siehe: Gulaschkommunismus
Die der jetzigen Lage erschreckend ähnlich ist
Fällt mir auf beim Lesen seiner Zeitungsschriften
Aus den Jahren einundneunzig bis vierundneunzig -
SZABADSÁG HELYETT SZABADSÁGOK                                        (statt Freiheit, Freiheiten)
Ich antworte ihm und mir
Nein
Nicht so wirklich, Petikém.                                                                    (mein kleiner Péter) (???)
(darf ich dich so nennen - was geht dich das an - du bist ja tot - als ich dein    BAUCHSPEICHELDRÜSENTAGEBUCH las - dachte ich darüber nach - ob ich die Lektüre unterbrechen soll - dreißig Seiten vor deinem Tod - und vergessen - verdrängen - dass du nicht mehr schreibst - so tun als ob - die Veröffentlichungen deiner alten Werke neue Bücher wären - wie lange hätte ich das weiterspielen können wohl - aber ich las zu Ende - du bist gestorben - und ich bin immer noch ein wenig beleidigt - dass du die Frechheit hattest - zu sterben - ohne mir jemals zu begegnen - als wären wir verabredet gewesen - und wir waren es - nur wusstest du das nicht - verschanzt im Paradies - an das du glaubst - Arschloch)
Es ist nicht so
Dass wir die Wahrheit kennen würden
Und sie nicht sagen könnten oder wollten
Oder umgekehrt
Dass wir sie nicht sagen
Weil wir sie nicht kennen -
Die Wahrheit scheint eher
Gar nicht vorhanden zu sein,
Sie zu kennen oder nicht
Ist nebensächlich
Denn sie ist nicht da,
Sie wird uns nicht vorgestellt
Und wir sind auch nicht sicher
Ob sie überhaupt eingeladen wurde
Und stehen ein bisschen befangen
Neben dem Bartresen
Und versuchen nicht zu viel
Aber auch nicht zu wenig
Zu trinken
Und fragen uns
Wessen Geburtstag ist es eigentlich
Und warum sind wir hier überhaupt
Wir kennen niemand und
Treffen von mehr als zwei Haushalten
Sind sowieso nicht erlaubt
Und die Bars sind geschlossen
Und warum trägt hier keine*r Maske
Und wir wachen auf
Aber der Traum
Ist schon vergessen.
Hinzu kommt
Dass wir mit den Lügen
Auch nicht vertraut sind
Jede*r hat seine eigenen
Führt sie spazieren an der Leine
Einer Tastatur oder Ladekabel
Durch Privatchats auf Telegram
Gassi gehend auf Twitter
Ohne Mundschutz bellend
Fressend künstliches Futter
Aus Blogs Nachrichtenportalen
Bildern Posts Kommentaren -
KUTYA NEHÉZ ÚGY HAZUDNI                                                  (hundeschwer ist es, zu lügen,
HA AZ EMBER NEM ÖSMERI                                                   ohne die Wahrheit
AZ IGAZSÁGOT - das stimmt                                                           zu kennen)
Doch noch schwerer ist es
Die Wahrheit zu sagen
Ohne die Lügen zu kennen.
(IGAZSÁG auf Ungarisch heißt
Gleichzeitig Wahrheit und Gerechtigkeit
Schwer ist es, zu lügen, ohne
Gerechtigkeit zu kennen,
Doch das nur nebenbei)
Diese Worte WAHRHEIT LÜGE
Sind sperrig
Selbst gelogen
Nicht nur können wir die Wahrheit nicht sagen
Wir können auch nicht WAHRHEIT sagen
Die Zeit lässt die Begriffe nicht mehr zu
Weil die Kategorien LÜGE WAHRHEIT
Nicht mehr greifen
Sie haben keine Wirkung
Alles ist Dichtung Narrative Ästhetik
A RENDSZER POÉTIKUS VOLT KÖLTŐI                                      (das System war poetisch,
ABBAN AZ ELNAGYOLT ÉRTELEMBEN                                      künstlerisch, im groben Sinne,
HOGY NEM ZAVARTATTA MAGÁT                                               dass es sich von der Wirklichkeit
A VALÓSÁGTOL - im Land                                                               nicht stören ließ)
Der Verdichter und Querdenker
Ist nicht die Kultur
(Denn Kultur ist Erinnerung, was
Den Begriff ERINNERUNGSKULTUR
Auf wunderschöner Weise ergänzt
ERINNGERUNGSERINNERUNG
Ich erinnere mich daran, dass ich mich erinnere)
Sondern die Kunst der Erzählung systemrelevant -
Es bedarf einer außerordentlichen Vorstellungskraft
Um das Auszahlen von Dividenden in Höhe von
Eins Komma Sechs Milliarden zu rechtfertigen und                   Süddeutsche Zeitung, Mai 2020:
Gleichzeitig Staatshilfe zu beantragen, aber Herr Zipse             BMW-Chef verteidigt Dividende
Hat Recht, dies ist das Land der Autoindustrie, wer
Wäre Hitler gewesen ohne Volkswagen und BMW,
Den Preis für beste männliche Nebenrolle verdient aber
Eindeutig der Finanzminister Schloz, auch zu sehen als
SPD-Kanzlerkandidat, für sein virtuoses Schweigen.
Applaus.
Vorhang zu.
Und vor den geschlossenen Theatern
Versammeln sich die Verschwörungstheoretiker*innen
Die Kunst ist ewig.
(Petikém - was sagst du dazu - DAS HEISST ES GIBT TAUSENDE SITUATIONEN IN DENEN DIE SCHÖNHEIT ES GEHT NICHT DARUM DASS ES SIE NICHT GIBT SONDERN DASS SIE BEDEUTUNGSLOS IST NUR EINE ART VERGNÜGEN FÜR HOHE HERREN UND DAMEN - Kunst ohne Schönheit - die Parole der neuen Avantgarde)
(ich verheddere mich in Begrifflichkeiten - hantiere mit leeren Worten herum - aber selbst die Leere sagt mir nichts - sie schweigt auch nicht - sie ist nur leer - um der ÄSTHETISIERUNG DES POLITISCHEN entgegenzuwirken - hilft nicht eine Armee an Literaturkritiker*innen - sondern nur die POLITISIERUNG DER KUNST - Schlagwörter aus dem vergangenen Jahrhundert - es hat sich nichts geändert - und doch alles - wie politisiere ich meine Kunst - wenn es keine Politik mehr gibt - vor lauter Ästhetik)
Es ist keine Zeit für Dialoge
Und auch Dualismen haben es schwer
Das Reale flutscht weg
Wenn ich die Hand schließe um den Stift
Papier bleibt Papier
Eine Umweltsünde
Die zu schnell brennt
Um aufzuwärmen
Im hinterbliebenen Gestank
Ist das Atmen schwer.                                                                        Problemsz of dö rájter tudéj
AZ ÍRÓ                                                                                             (der Schreibende, der über die
AKI AZ ÍRÓ PROBLÉMÁIROL ÍR                                                Probleme des Schreibens
VAGY NEM ÍRÓ                                                                              schreibt, ist entweder kein
VAGY                                                                                                Schreibender oder er schreibt
NEM PROBLÉMÁKROL ÍR                                                           Nicht über Probleme)     
Die Wahrheit zu sagen
Umgeben von Lügen
Ist unmöglich
Was uns bleibt
Ist der Spielraum dazwischen.                                                             (mozgástér)