Notiz_49 - 2020202020




Selbst die Meldungen auf den Nachrichtenwebseiten deuten auf meine Krankheit hin, ich habe noch nie so viele Medikamente eingekauft, obwohl es möglich ist, dies sei eine Lüge, heiße Zitrone mit Ingwer schlurfend zieht mich mein Tisch zum Fenster hin, die neue Anordnung meines Zimmers für den Winter, mehr Platz zwischen Tisch und Bett, zwei Sekunden mehr Weg, indem ich mich entscheiden könnte, doch nicht schlafen zu gehen oder im Bett zu bleiben oder im leeren Raum dazwischen zu schweben, zu tanzen vielleicht sobald die Krankheit zu Ende ist, das ganze letzte Jahr muss aus den Nebenhöhlen und dem Hals heraus, bin froh, dass es diesmal keine Essensvergiftung ist wie zweifünfzehn, es sind schon fünf Jahren seit dem Charlie Hebdo Anschlag vergangen, aber auf Bilanzen der letzten Zeit habe ich gerade keine Lust, ich schaue lieber zum weißen Himmel hin und stelle zufrieden fest, dass ich in der nächsten Zeit ein paar Mal in Berlin sein werde, ich mag Berlin nicht besonders, aber es fühlt sich trotzdem wichtig an, FIRST WE TAKE MANHATTAN, Überreste aus dem vergangenen Jahr tauchen auf, ich inhaliere zum ersten Mal in meinem Leben, zweineunzehn ist ein Müllbeutel voller Rotztücher, zwanzigzwanzigzwanzigzwanzigzwanzig Kleber und Filzstifte und sechs Seiten Inszenierungskonzept bis jetzt, Geruch von Zitrone und Ingwer und Gemüsebrühe und ein Lächeln, das mich überrascht während ich auf dem Balkon (welchem) rauche und merke, die Gegenwart meiner Vergangenheiten geht mich nichts an und interessiert mich auch nicht, zwei graue Flügel wachsen aus meinen Lungen, das erste Traumbild des Jahres, es gab noch etwas, die etymologische Nähe von GRAFFITO und GRAFFIO, was Kratzer auf Italienisch heißt, ich sprühe meine Komplexe (Komplexitäten) auf die herumstehenden Wänden, wenn man im Nichts aufwächst liegt wohl der eigene Körper am nächsten, oder der Körper eines anderen, wenn man Glück oder Pech hat, zum Beispiel bin jetzt ich gerne alleine, muss keiner zusehen, wie der Mülleimer sich mit Rotztücher füllt, ich höre ungarisches Indie-Pop, das hilft meiner Kommunikationsfähigkeit mit der Außenwelt nicht, ich würde gerne mich verständlich übersetzten, aber das wäre ich dann nicht mehr, Esterházy zum Beispiel (seit dem Tod von Esterházy [unleserlich] [unleserlich] [unleserlich] [K] [K] [K]), ich war traurig und ein bisschen beleidigt, als du gestorben bist, Petike (duzen, als würde ich ihn kennen, er spricht Deutsch sogar [unleserlich] [K]), jetzt muss ich alles alleine machen, gut, das hätte ich auch machen müssen, wenn du am Leben gewesen wärst, aber du kannst es nicht sehen, was ich alleine mache, es besteht nicht die Möglichkeit, dass du es siehst, das hat mich beleidigt, als würdest du dich aus irgendeiner Verantwortung mir gegenüber mit größtmögliche Eleganz, ja aristokratisch fast (sprich, Bauchspeicheldrüsenkrebs [unleserlich] [K]) herausziehen wollen, ich weiß doch, dass HRABALS BUCH ein Versprechen war, brauchst dich nicht zu verstecken in dem Himmel, an dem du glaubst, die Diktatur des Lesers, Inhalieren hilft tatsächlich, Vera raucht auf dem Balkon (welchem), ich sollte nicht rauchen, gehe aber gleicht trotzdem zu ihr, vielleicht lässt sie mir einen Zug übrig, danach lese ich weiter Esterházy und trinke Nasenspray zu Mittag, Hunde und Kinder sind die Hoffnung, ein kleiner Teil von mir hätte es gerne, wenn es Krieg gäbe, aber noch nicht, erst muss ich gesund werden.